Dass eine anonyme Bewerbung die Diskriminierung im Bewerbungsprozess nicht, wie Kritiker*innen behaupten könnten, nur aufschiebt und diese dann spätestens im Vorstellungsgespräch zum Tragen kommt, lässt sich leicht entkräften, denn laut Antidiskriminierungsstelle des Bundes gibt es Hinweise darauf, dass die Diskriminierungsrate im Laufe des Bewerbungsprozesses abnimmt und also besonders in der sog. Erstauswahl relevant ist. Auch ist anzumerken, dass es bei diesen Bewerbungsverfahren eben nicht vornehmlich um die aktive, bewusste Diskriminierung (z. B. in den Bewerbungsgesprächen) geht, sondern um die passive, unbewusste und unpersönliche Diskriminierung.
Mangelnde Individualität, aber auch möglicher höherer zeitlicher Aufwand für die Schwärzung oder Erstellung der Unterlagen seitens der Bewerber*innen wären weitere Aspekte, die gegen ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren sprächen. Allerdings muss einerseits betrachtet werden, inwiefern diese Individualität überhaupt verloren geht, da z. B. die Erfahrungen, die angegebenen Soft Skills der Person untermauern, dennoch übermittelt werden und so für Individualität sorgen. Andererseits kommt ein Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu der Tendenz, dass Bewerber*innen den potenziellen zeitlichen Mehraufwand nicht wahrnehmen.
Am Ende lässt sich auch der seitens der Unternehmen häufig erbrachten Kritik, die Erneuerung des Verfahrens wäre mit zu hohem, besonders finanziellem, Mehraufwand verbunden, recht logisch entgegentreten. Innovationen haben es schließlich an sich, mit Mehraufwand verknüpft zu sein. Die Frage ist nur, welchen Nutzen sie, wenn erstmal etabliert, der Gesellschaft bringen.
Besonders wenn man den vorherigen Kritikpunkt mit in Betracht zieht, sollte die Fragestellung berechtigt sein: Sollten nicht gerade die Unternehmen, die den Verlust der Individualität durch anonymisierende Verfahren beklagen, keine Kosten und Mühen scheuen, um Individualität auch in ihrer Belegschaft zu gewährleisten und Individuen, die sonst Opfer rassistischer und diskriminierender Strukturen auf dem Arbeitsmarkt würden, zu schützen.
Folgende Kritik lässt sich also entkräfteten:
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Diskriminierung wird nur zum Vorstellungsgespräch aufgeschoben. Hier widerspricht die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Laut ihr gebe es Hinweise auf eine abfallende Diskriminierungsrate nach Erstauswahl.
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Fehlende Individualität seitens der Bewerber*innen. Hier lässt sich streiten, ob nicht speziell Berufserfahrungen und sonstige Qualifikationen zur Individualität beitragen, indem sie die individuellen Eigenschaften des Bewerbers, z. B. Teamfähigkeit, nachvollziehbar untermauern.
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Kann für den Bewerbenden zeitlich aufwendiger sein, dies hängt aber auch mit den entsprechenden technischen Fähigkeiten zusammen, auch wird dies durch das Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes tendenziell nicht bestätigt.
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Hoher logistischer und finanzieller Aufwand für die Unternehmen. Der Kosten/Nutzen Faktor kann mangels großflächiger langjähriger Pilotprojekte noch gar nicht richtig ermittelt werden. Innovationen immer mit Aufwand verbunden, Tendenzen der Forschung sprechen für positive Auswirkungen.